Zum internationalen Frauentag kamen mir ein paar Gedanken zum Thema Selbstliebe, angeregt durch Heidi Klums Model-Show und einen simplen Schnupfen, der mich dieser Tage aus meiner Alltagsbahn geworfen hat.
Gestern Abend bei Heidi gab es nämlich tatsächlich mal eine Aufgabe für die Kandidatinnen, die mir gefallen hat. Natürlich gibt es viele kontroverse Gedanken und auch berechtigte Kritik an dieser Show. Aber dennoch ist sie da, fasziniert die – vor allem jungen – ZuschauerInnen, und sie mit kompletter Missachtung zu strafen ist möglicherweise der falsche Weg. Genauso wie ein schlichtes Verbot ab einem gewissen Alter sich mit Bestimmtheit eher kontraproduktiv auswirkt.
Aber nun zu dieser Aufgabe. Die Mädchen sollten sich nach dem üblichen „Um-die-Wette-Catwalken“ vor einen Spiegel stellen und ihrem Spiegelbild sagen, was sie alles an sich gut finden, außen und innen (siehe da!). Eine große Aufgabe für diese jungen Frauen, die von der Show und ihrem Ansinnen, ein Profi-Fotomodell zu werden, doch eigentlich sehr stark auf ihr Äußeres reduziert werden. Nun verlangt die Heidi auf einmal, dass sie ihrem Spiegel sagen sollen, wie toll sie sich finden und zwar nicht nur äußerlich. Was hier im Rahmen einer verzerrten Wettbewerbssituation stattgefunden hat, die natürlich durchleuchtet, bewertet und damit wieder ad absurdum geführt wird, lässt aber die Theaterpädagogin in mir freudig aufjubeln. So eine Übung habe ich mit jungen Frauen doch auch schonmal gemacht (und natürlich spricht gar nichts dagegen, sie auch mit jungen Männern zu machen oder älteren Frauen oder Einhörnern oder Orks oder wem auch immer). Wann hast du deinem Spiegelbild das letzte Mal gesagt, wie wunderbar du es findest? Wie großartig es ist, dass du dich jedem Tag dem Alltag so trotzig gegenüber stellst und rufst: Tschakka, ich schaffe das?
Ich tue das öfter. Ehrlich. Ich bin so jemand. Ich nehme mich gerne als stark wahr, als furchtlos, als unerschütterlich. Trotzig rufe ich meinem Spiegel zu: „Ja, das bin ich, da kannste mal gucken. Weg da jetzt, ich hab‘ viel zu tun.“ Und meistens stimmt das auch. Ich habe zwei Jobs, meinen Brotjob und meinen Seelenberuf. Ich bin Theaterpädagogin mit Leib und Seele. Ich erzähle Geschichten, ich schreibe gerne. Meine andere Leidenschaft ist das Tanzen. Ich unterrichte Tanz und Theater. Ich besuche Tanzveranstaltungen und Workshops. Meine Familie ist mir wichtig. Ich verbringe viel wunderbare Qualitätszeit mit meinem geliebten Mann Jan. Und wann ruhst du dich mal aus? Ich liebe alles, was ich tue. Habe ich euch von meiner neuen Kindertheatergruppe erzählt? Die Kleinen sind so süß! Okay, und wann ruhst du dich mal aus? Am Wochenende habe ich sicher mal einen Nachmittag frei. Da lege ich mich auf die Couch. Ach, wo ich nichts zu tun habe, kann ich genauso gut mal meinen nächsten Workshop vorbereiten. Oder sollte ich meinen Hintern hochhieven und trainieren? Demnächst kommen ja wieder eine paar Auftritte auf mich zu…UND WANN RUHST DU DICH MAL AUS? – KLAPPE! ICH HABE ZU TUN!
Am Montag dann die ersten Halsschmerzen. Es werden Salbeibonbons gelutscht, was das Zeug hält und natürlich weiter gemacht. Da ist doch dieser Termin am Mittwoch, den will ich noch unbedingt…hat auch geklappt. Mittwochabend geht es mir ganz schlecht. Deshalb entschließe ich mich, am Donnerstag einen Tag Pause zu machen. Ich merke im Laufe des Donnerstags, dass der eine Tag nicht reichen wird und Panik macht sich breit. Ich habe doch am Wochenende soviel vor und dann sind doch freitags immer meine Theatergruppen und…ich liege auf der Couch und beschließe, durch reine Willenskraft die Erkältung zu besiegen und tapfer zur Arbeit zu gehen. Mein Mann, dem ich mein Ansinnen mitgeteilt habe, sagt nur trocken: „Ich sehe das noch nicht, dass du morgen arbeiten wirst…“ Die Nacht gibt ihm recht und tags darauf schleppe ich mich zum Arzt. Der schreibt mich krank und dann lasse ich endlich, endlich los. Ich sage einfach alles ab. Und mit jeder Absage, die mir trotzdem weh tut, wird es mir auch leichter ums Herz. Und ich höre meinen Körper leise flüstern: Können wir uns jetzt endlich ausruhen, bitte? Erleichtert seufze ich ein Ja und mit diesem Seufzer kommt eine Riesenerkenntnis. Nicht mein Körper beginnt mich im Stich zu lassen, sondern ich meinen Körper!
Und jetzt muss ich noch einmal ein bisschen weiter ausholen. Ich bin im letzten Jahr 48 Jahre alt geworden. Und ich merke langsam, dass ich älter werde. Man merkt es an den Augen, an der Belastbarkeitsgrenze, an den Wehwehchen hier und da, daran, dass sich Dinge verändern, dass der Körper sich verändert. Die Vorsorgeuntersuchungen und weitere Behandlungen häufen sich. Seit wann verbringe ich meine Zeit eigentlich so oft in Wartezimmern, zum Teufel? Dinge wachsen da, wo sie nicht hingehören, ich bekomme Behandlungen, die anstrengend sind und die Zeit und HEILUNG brauchen, über die ich aber niemanden unterrichte, aus Eitelkeit. Weil ich es allein schaffen will. Weil ich nicht aufhören kann, in den Spiegel zu gucken und diese starke Frau zu sehen. Weil ich einfach nicht schwach sein will. Und es doch bin. Weil ich wie jeder andere auch, einfach nur ein Mensch bin. Und innerlich fragte ich mich oft: Körper, warum? Körper, warum lässt du mich jetzt im Stich? Und heute begreife ich auf einmal: Nicht mein Körper läßt mich im Stich, sondern ich ihn.
Seit über 48 Jahren ist er für mich da. Er läßt meine Seele in sich wohnen und beschert mir Wonnen und große Freuden genauso wie auch schonmal Schmerz, aber auch das ist gut, denn es beweist ja, dass ich noch lebe, dass das Warnsystem meines Körpers funktioniert. Er lässt mich noch Tag für Tag tanzen und hat mir geholfen, mit 45 Jahren noch einmal neu eine Tanzausbildung anzufangen und durchzuziehen. Keine ernstzunehmenden Krankheiten in über 48 Jahren, keine Knochenbrüche. Zwei Kinder hat er auf die Welt gebracht, dieser unglaubliche Körper, und dabei musste er sich dauernd das Gejammer anhören: Du bist zu fett, die Proportionen sind nicht so schön, dieses passt mir nicht, jenes passt mir nicht blablabla. Statt einfach nur staunend über dieses Wunder, ihn jeden Tag zu feiern und zu preisen und zu jubeln, dass man am Leben sein und alles machen darf und so viele Möglichkeiten hat. Und dann darf er auch mal müde sein. Und man muss Geduld mit ihm haben, wenn er mal etwas hat, das Zeit und Einschränkung benötigt, um zu heilen.
Seit heute habe ich eine große, große Liebe zu meinem Körper. Und ich glaube, ich werde mich gleich mal nackt vor den Spiegel stellen und ihm sagen, wie wundervoll er doch ist. Vielleicht macht ihr ja mit? Von mir aus auch angezogen. Lasst uns vor die Spiegel stellen und uns und unseren Körpern sagen, wie wundervoll sie sind. Auch wenn ihr sie nicht perfekt findet. Auch wenn sie euch gerade viel zumuten oder ihr mit etwas hadert. Liebt euch dennoch. Liebt eure Körper. Sie haben es so verdient!
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Ali
Toller Text! Ich bin gerade auch dabei, sich um meinen Körper besser zu kümmern, ihm Zeit für Heilung zu geben und versuche alle Warnsignale, die ich bis jetzt in der Regel ignorierte oder als lästig empfunden habe, liebevoll wahr- und ernstzunehmen.